Michael Schultz Daily News Nr. 997
Michael Schultz Daily News Nr. 997
Berlin, den 11. August 2015 das Aufdecken von Missständen, der weite Blick über den Tellerrand, Festgefahrenes in seine Einzelteile zu zerlegen und in anderen (uns fremden) Zusammenhängen neu zusammenzusetzen, uns die Augen für Details zu öffnen, manchmal erschreckend brutal, aber auch zurückhaltend sensibel, je nach Temperament - so sieht die Arbeit der Künstler im Wesentlichen aus. Schon gar nicht halten sie die Klappe; über ihre Kunst liefern sie Hinweise auf ihr Denken. Gott sei Dank gibt es sie, auch dann wenn uns ihre An- und Draufsichten rein gar nicht gefallen. Dort, wo der Staat die Arbeit der Künstler beeinträchtigt (ihre Kunstwerke gar aus der Öffentlichkeit entfernen lässt), können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass die politischen Systeme weit ab von menschenwürdiger Demokratie angesiedelt sind. Wenn die Freiheit der Kunst nur eingeschränkt erlaubt ist, dann ist äußerste Vorsicht angebracht. Russland, die Türkei und China, gehören zu den Ländern, die den Künstlern mit Argusaugen über die Schultern schauen, und zugreifen, sobald es der Staat für opportun hält. Jetzt geht es auch in der Ukraine den Künstlern an den Kragen: 14 russische Künstler, unter ihnen der französische Filmstar und Wahlrusse Gérard Depardieu, wurden auf eine schwarze Liste gesetzt. Kiew schätzt sie als ˈBedrohung für die nationale Sicherheitˈ ein, weil sie Moskau-freundlich seien. Deshalb dürfen sie künftig in der Ukraine weder im Fernsehen noch im Radio noch im Kino zu sehen oder zu hören sein. Verbreitet wurde diese Nachricht gestern vom Berliner 'Tagesspiegel' und der 'Welt'. Beide berufen sich auf Informationen, die von der ukrainischen Ministeriumssprecherin Daryna Glutschschenko der französischen Nachrichtenagentur AFP übermittelt wurden. So sollen in Zukunft die Lizenzen für die Filme, in denen die auf den schwarzen Listen stehenden Künstler zu sehen sind, recht bald von der zuständigen ukrainischen Agentur eingezogen werden. Das Verbot gilt auch für Filme aus der Sowjetzeit, in denen der russische Schauspieler, Sänger und Fernsehmoderator Michail Bojarski mitspielt. Die rechte ukrainische Regierung wirft ihm vor, einen offenen Brief unterzeichnet zu haben, in dem die Eingliederung der Schwarzmeerhalbinsel Krim in die Russische Föderation im März 2014 unterstützt wird. Ein weiterer populärer Künstler, der unter das Aufführungsverbot fallen soll, ist der als 'Frank Sinatra der UdSSR' bekannte Sänger und Politikagent Iosif Kobzon. Seit Februar ist der 77 Jahre alte Musikstar bereits von Strafmaßnahmen der Europäischen Union wie Reisebeschränkungen und Kontoeinfrierungen betroffen. Bei den meisten anderen russischen Künstlern handelt es sich ebenfalls um Schauspieler und Sänger. Kiew beschuldigt sie unter anderem, die bewaffneten Rebellen in der Ostukraine zu unterstützen, die dort gegen die Regierungstruppen und die mit ihnen verbündeten ultrarechten Einheiten kämpfen. Die Regierung in Kiew hat Ende Juli bereits Gérard Depardieu zur unerwünschten Person erklärt, und ihn mit einem fünfjährigen Einreiseverbot verhängt - diese offenbar aus Verkrätzung über seine angeblichen prorussischen Äußerungen. Der 66-jährige Schauspieler ist der ukrainischen Führung wegen seines freundschaftlichen Verhältnisses zum russischen Präsidenten Wladimir Putin ohnehin ein Dorn im Auge. Aus Ärger über die hohen französischen Steuern war Depardieu Ende 2012 zunächst nach Belgien umgezogen. 2013 nahm er die russische Staatsbürgerschaft an, die ihm Putin persönlich angeboten hatte. Seine Steuererklärung soll der Schauspieler im vergangenen Jahr in der russischen Teilrepublik Mordowien abgegeben haben, wo er offiziell gemeldet ist. (ˈTagesspiegelˈ) Der ukrainische Geheimdienst prüft derzeit eine ˈschwarze Listeˈ mit über 500 ausländischen Künstlern. Aus ihnen sollen diejenigen herausgefiltert und mit Ignoranz bestraft werden, vor denen Poroschenko und sein Staat Angst haben. Der Menschenrechtsbeauftragte beim Kreml (!), Michail Fedotow, kritisierte das Vorgehen, für ihn habe die Ukraine ˈjedes Maß und Ziel verlorenˈ. Der russische Abgeordneter Franz Klinzewitsch von der Regierungspartei Geeintes Russland verurteilte die Liste als Bestrafung kritischer Menschen. ˈIhre ganze Schuld besteht darin, dass sie sagen, was sie denkenˈ, sagte er der Agentur Tass zufolge. Dass Künstler an den Pranger gestellt werden, und für ihre Kritik an den Versäumnissen der Politiker der Öffentlichkeit entzogen werden, ist im Grunde ein Eingestehen des eigenen Versagens. Die wirklich Bestraften sind deren Fans. Doch diese werden sich deshalb nicht von ihnen abwenden. Im Gegenteil, die Bande zwischen Stars und Fans wird noch stärker werden, sie werden ihre Idole noch mehr verehren, notfalls sogar den Staat in dem Leben verteufeln. Unbequemen Künstlern den Atem abzuschneiden sind Relikte autoritärer Staatsformen. Mit Demokratie hat das rein gar nichts zu tun, auch dann nicht, wenn die Künstler weniger populäre Ansichten vertreten. |
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