Michael Schultz Daily News Nr. 995

Michael Schultz Daily News Nr. 995

Madrid, den 7. August 2015

es wird wieder Fußball gespielt. Endlich. Gestern Abend zauberte Borussia Dortmund in einer vom Gegner zugelassenen Fußballgala einen lupenreinen 5:0 Sieg gegen den österreichischen Club aus Wolfsberg herbei. Damit haben sie die Play-off-Runde im Europa Cup erreicht. Vorgestern verloren die Königlichen aus Madrid in München gegen die Bayern das Finale im Audi-(Freundschafts) Cup mit null zu eins. Für die Münchner der erste Saisontitel; für Real Madrid war das ein gut bezahltes Freundschaftsspiel. Nicht mehr und nicht weniger; so jedenfalls schreibt die spanische Presse darüber.

Am kommenden Wochenende beginnt die Bundesliga. Die Fans stehen in den Startlöchern und rechnen sich aus, welche Mannschaft in der neuen Spielzeit der ernsthafte Verfolger der Bayern werden wird. Viele tippen auf den VFL Wolfsburg, gefolgt von der vermeintlich wiedererstarkten Dortmunder Borussia, auch den Mönchengladbachern wird einiges zugetraut. Es fallen auch immer wieder die Namen von Schalke 04, Bayer Leverkusen und der Frankfurter Eintracht. Je nach Vereinszugehörigkeit traut fast jeder Fan seiner Mannschaft den Kampf gegen die Übermacht von der Isar zu.

Wenn man das mal rein objektiv betrachtet (was wir Fußballfans bekanntermaßen am besten können), dann werden die Bayern auch in der kommenden Saison zumindest in der Bundesliga einsam ihre Kreise ziehen. Pep Guardiola aber will in seinem Abschiedsjahr wenigstens auch einmal die Champions League Schüssel nach München holen. Schafft er das nicht, dann geht er als Versager. Für den ehrgeizigen Nationalkatalanen würde diese Schande eine niemals verheilende Wunde in seinem strotzenden Selbstbewusstsein hinterlassen.

Doch zurück zur Bundesliga: Wolfsburg hat eine ganze Reihe exzellenter Einzelkönner im Team, aber leider noch keine dauerhaft abrufbare mannschaftliche Höchstleistung. In Dortmund muss nach dem Abgang von Jürgen Klopp zunächst erstmal das Tal der Tränen durchschritten werden. Ob sein Nachfolger es schafft, Spieler, Fans, die Region, ja gar die ganze Republik so mitzunehmen wie dies Klopp gelang, darf noch ein wenig bezweifelt werden. Gladbach kann Spiele gegen übermächtige Gegner  gewinnen, aber auch genauso gut gegen ganz schwache verlieren. Aber sie spielen in der Champions League, und das schafft Selbstvertrauen. Die anderen genannten, dazu gehört auch Leverkusen,  kämpfen um einen guten Platz im Mittelfeld. Die Bayern werden in der Bundesliga alle bisher aufgestellten Rekorde brechen. So wird es kommen.

Die Faszination für den Fußball ist ganz unten in der Tiefe unserer Gesellschaft fest verankert. Handwerker, Malocher, gestrauchelte und emotionsgeladene Tunichtgute bilden die Basis für das Ballspiel. Die klassischen Schlachtenbummler, die mit ihrer Leidenschaft für ihre Vereine durchs Feuer gehen. Sie füllen nicht nur die Nordkurve, sie peitschen ihre Teams zur Höchstleistung; sie trauern und weinen, wenn die Schlacht verloren wurde. Sie leben für ihren Verein, der über allem steht.

Etwas weiter oben, in der gebildeteren und vermögenderen Schicht, auch dort gibt es ausreichend Schlachtenbummler. Hochschullehrer, Ärzte, Pädagogen, Bankdirektoren, Juristen und freie Unternehmer. Am Samstagnachmittag legen sie Krawatten, Anzüge und manche eben auch die Kinderstube ab, und dann geht es in den Vereinsfarben ins Stadion. Ihre Nähe zum Verein verbrüdert sie für die Dauer des Spiels mit der Ursuppe der Fans; sie brüllen, pfeifen, jubeln und hauen, wenn es sein muss auch schon mal zu. Danach geht es zurück nach Hause, zurück in die Tristesse ihrer bürgerlichen Errungenschaften. Dort wundern sie sich, zu was sie im Fanrausch im Stande sein können. Doch der Samstagnachmittag gehört ihnen. Einmal in der Woche die Sau raus lassen. Das muss ein.

Unter den Künstlern ist der Mannschaftssport zwar recht beliebt, dennoch gibt es nicht wenige, die damit rein gar nichts anfangen können. Nina und Torsten Römer (Römer + Römer) beispielsweise machen überhaupt keinen Hehl daraus, dass sie das hinterherlaufen hinter dem Ball für eine einfallslose, langweilige Betätigung halten.

Vielleicht ändert sich deren Einstellung nach Lektüre der von Künstlerhand gestalteten Fußballausgabe von 'Monopol'. Rechtzeitig zum Saisonbeginn wurde eine vom bekennenden Eintracht Frankfurt Fan Tobias Rehberger kuratierte Ausstellung auf einer 47-Seiten umfassenden Heftstrecke vorgestellt. Aus 13 Künstlern wurde eine 'einzigartige Mannschaft' ('Monopol') geformt, deren Ergebnisse im Magazin gezeigt werden. Mit dabei u.a. Andreas Slominski, Douglas Gordon, Rosemarie Trockel (!), Reinhard Mucha, Julião Sarmento, Daniel Richter und Olaf Metzel. Eine spannend aufbereite Fußballausgabe, im Speziellen für die Intellektuellen unter den Fans.

Bedauerlicherweise ein wenig zu kurz gekommen ist der Blick aus der Tiefe. Es fehlt die Sicht der narkotisierten, ohne die der Fußball niemals seine suchtartige Anziehungskraft bekommen hätte. Die Künstler beschäftigen sich mit der Korruption der Funktionäre und der Fremdenfeindlichkeit der Fans. Einzig Andreas Slominski taucht ein wenig ein in die jüngere Geschichte der Matchbewerbung: '...er hat die Motive, die überall im Land in Dörfern und Städten, an Strommasten, Lattenzäunen und Hausmauern angebracht waren ausfindig gemacht' ('Monopol'). Durch sie erwirkt er als einziger im Rehberger- Team direkte Produktion von Emotion.

Aber lassen wir es; 'Monopol' brilliert mit einer bunten Mischung und einem bisher noch nicht veröffentlichten  Einblick in die Seele seiner intellektuellen Fans. Nichts für Enthusiastische, die ihr halbes Leben in der Nordkurve verbringen. Für sie ist der Kampf um und mit dem Ball 'Kunst' genug. Aber vielleicht hilft es dem einen oder anderen seine Abneigung zu überprüfen. Cornelia Schleime, zum Beispiel, interessiert sich nur für die Nationalmannschaft. Nur große Spiele, darunter geht gar nichts. Warum nicht.

Die oben  erwähnte Prognose, dass die Bayern in der kommenden Saison die Bundesliga entzaubern werden, bitte nicht falsch verstehen. Das ist keine leichtfertig dahingeschriebene, und dem zunehmenden Alter des Verfassers geschuldete Versöhnung mit dem Erzfeind. Guardiola, Sammer und die ganze Truppe sind so heiß wie noch nie, ihr Feuer wird alles bisher Gewesene in den Schatten stellen.