Michael Schultz Daily News Nr. 986

Michael Schultz Daily News Nr. 986

Berlin, den 27. Juli 2015

in Bayreuth, Salzburg, Hitzacker und München wurden in den vergangenen Tagen die allsommerlich ausgetragenen Musik- und Opernfestspiele eröffnet. Aufführungen und Stars werden bejubelt, und es kommt auch schon mal vor, dass das, was in der Vergangenheit ausgepfiffen wurde, in der neuen Spielzeit bejubelt wird. So wurde der einst im Jahre 2010 bei seiner Erstaufführung schwer geschmähte Lohengrin in der Inszenierung von Hans Neuenfels heuer in seinem Abschiedsjahr endlich zum Kult. Tosender Applaus für die Ratteninszenierung, bereits schon nach den ersten beiden Akten.

Ganz anders erging es dem vom Erfolg verwöhnten Liebling der feinen Musikwelt: Christian Thielemann wurde bei Katharina Wagners Neuinszenierung von Tristan und Isolde ausgebuht. Für ihn eine ungewohnte und sicherlich neue Erfahrung. Das Publikum ist kritischer geworden und differenziert; die Inszenierung wurde bejubelt, der Musikdirektor lauthals gedemütigt. Ja, so kann’s gehen. Auch im sonst so mondänen Bayreuth haben sich die Zeiten geändert. Durch eine (etwas) zeitgemäßere Zugangspolitik hat sich auch das Publikum geändert; anstatt der nur schönen, schicken, unbedarften und ahnungslosen, deren der Zutritt per freiticket in einem besonderen Verfahren alljährlich zugeteilt wird, ermöglicht das Internet den wahren Wagnerianern (wenn auch kontingentiert) neuerdings einen etwas unkomplizierteren Zugang zum Hügel.  Ein erfrischendes Fachpublikum erobert nach und nach die Kultstätte; Emotionen werden gezeigt, braves Applaudieren ist deren Sache nicht. Auch Thielemann wird sich künftig mehr Mühe geben müssen.

Doch was wäre Bayreuth ohne die Kanzlerin. Für sie ist der Opernbesuch eine der wenigen Möglichkeiten, außerhalb des Protokolls auch mal ihren Gatten ausführen zu können. Frau Merkel mit Herrn Sauer Hand in Hand, ein wahrlich ungewohntes Bild.

Doch Schande, während einer Pause am Rande der Aufführung fiel die Kanzlerin ganz plötzlich von ihrem Stuhl. Diese Nachricht verbreitete sich in Windeseile; noch bevor die Gestürzte wieder saß, verbreiteten Medien in aller Welt Widersprüchliches: 'US Today' vermeldetete gar eine tiefe Bewusstlosigkeit. N-TV sprach von einem Schwächeanfall, andere Medien lieferten die Details dazu: die Kanzlerin hätte unter einem Tisch gelegen, sei minutenlang bewusstlos gewesen, sie hätte einen schweren Kollaps erlitten und stehe unter Schock, und wurde von ihrer Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Bundestagspräsident Lammert medizinisch erstversorgt.

Nichts von dem entsprach der Wahrheit: entweder war es der Stuhl, der nachgab, oder Frau Merkel hat sich einfach mal daneben gesetzt. In ihrem politischen Leben ist ihr dies noch nie passiert; bevor sie sich auf dem meist glitschigen Politparkett hinsetzt, wartet sie erst mal die Umfragen ab. Kein gutes Zeichen; ihre Spontanität.

Auch, wenn die 'Bild' es immer noch nicht fassen kann: die Griechenstütze ist aus den Schlagzeilen genommen. Verhandelt wird seriös und hinter den Kulissen, so wie es die Mehrheit der Europäer will, geht es jetzt behutsam seinen Lauf. Das Flüchtlingsthema ist wieder in den Fokus gerückt. Jetzt prüft sogar die  Bundeswehr, wie sie Kommunen und Länder bei der Unterbringung von Asylbewerbern unterstützen kann. Bis zu 3.500 Flüchtlinge sind bereits in leeren Kasernen untergebracht. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer verlangt zusätzliche Hilfen vom Bund. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann schlägt vor, Einwanderungskorridore für die hiesigen Mangelberufe, etwa für das Pflegepersonal, zu schaffen. Zudem will er den Druck auf abgelehnte Flüchtlinge erhöhen, damit sie aus freien Stücken in ihr Heimatland zurückreisen, berichten heute unisono 'Die Welt', 'tagesspiegel.de' und 'zeit.de'.

Seit Wochen kommt es im sächsischen Freital zu Protesten gegen dort untergebrachte Asylbewerber. Eine Künstlergruppe unter dem Namen 'Dies Irae' (lat. 'Tag des Zorns') hat jetzt reagiert und über Nacht im Ort 'entlarvende Anti-Rassismus-Plakate' aufgehängt (spiegel.de). Neben dem abgebildeten wurden Botschaften mit folgenden Inhalten  an 10 Freitaler Bushaltestellen angebracht: 'Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm - der Nazi macht es andersrum', oder aber auch 'Nazis essen heimlich Falafel'. Richtig zur Sache ging es in dem Spruch: 'Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall. Alle Rassisten sind Arschlöcher. Überall.'

Von Mittwoch auf Donnerstag vergangener Woche waren in einer Nacht-und Nebelaktion innerhalb von 90 Minuten  die Werbekästen an den Haltestellen mit ihren Postern versehen. Sichtbar für ganz Freital. Mittlerweile wurden diese wieder abgehängt; die Initiatoren erhoffen sich, dass sich die mehrheitlich Liberalen im Ort durch ihre Aktion endlich gegen die wenigen Brandstifter formieren werden.

Schlussendlich heute noch zwei Meldungen, passend zum Thema:

Nach einer Emnid-Umfrage lehnen 52% der Deutschen den Vorschlag ab, die Leistungen für Asylsuchende zu kürzen. Demnach finden 33 Prozent Leistungskürzungen richtig. Eine Mehrheit von 56 Prozent fordert der Umfrage zufolge, dass künftig auch Kosovo und Albanien als "sichere Herkunftsstaaten" gelten sollen. Außerdem sind 59 Prozent dagegen, Asylbewerber, die wahrscheinlich abgeschoben werden, nur provisorisch in Zelten oder grenznahen Aufnahmeeinrichtungen unterzubringen.

Nach den Querelen um die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung fordert Monika Grütters einen Neuanfang. Die Stiftung müsse sich in ihrer Arbeit glaubwürdig präsentieren und weiter öffnen, sagt Grütters. Die 2008 gegründete Stiftung soll eine Gedenkstätte für die Opfer von Vertreibungen einrichten. Der Bund der Vertriebenen drängt darauf, das Schicksal der Heimatvertriebenen aus den einstigen deutschen Ostgebieten zum zentralen Thema zu machen.

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