Michael Schultz Daily News Nr. 985

Michael Schultz Daily News Nr. 985

Berlin, den 24. Juli 2015

in Berlin leben rund 250.000 Hunde, davon sind etwas mehr als 103.000 angemeldet und mit gültigen Papieren ausgestattet. Die restlichen knapp 150.000 Vierbeiner verdingen sich ohne Aufenthaltserlaubnis, ohne Meldepapiere, aber mit festem Wohnsitz in der Stadt. Sie haben Unterschlupf gefunden, werden geduldet, versorgt und gepflegt; sie werden vergöttert und geliebt. Sie entrichten keine Steuern, scheißen auf Straßen und Gehwege, verunsichern Jogger, beißen auch schon mal, jagen die Stadthasen, scheren sich nicht um Verkehrsregeln; sie benehmen sich nicht selten wie ihre Asylgewährer.

Mit dem Unterschied, dass er dort allgegenwärtig ist, gehört der Hund zu Berlin wie das Oktoberfest zu München. Berliner und ihre Hunde, eine Sittengeschichte voller interessanter und merkwürdiger Episoden. Eine weitere schreibt jetzt gerade das Kupferstichkabinett: für des Menschen besten Freund wurde dieser Tage die Ausstellung 'Wir kommen auf den Hund' eröffnet. Ein Blockbuster tut sich da auf; gerade jetzt in der Ferienzeit, wenn viele Hundebesitzer aus Liebe zu ihrem Tier nicht auf Reisen gehen und die Freizeit zu Hause verbringen, werden sie geradezu von der musealen Show angezogen.

Dort, in einem der renommiertesten Ausstellungshäuser, dürfen Sie nämlich ausnahmsweise mal mit ihren Vierbeinern erscheinen. Die Show ist für den Hund gemacht, hochqualifizierte Museumspädagogen bieten Führungen für die Tiere an.

Damit auch alles mit rechten Dingen zugeht, dürfen die Vierbeiner nur angeleint und mit einem Maulkorb versehen in die heiligen Hallen. So richtig traut man ihnen dann doch nicht. Urinale Markierungen sind verboten, sollte es dennoch dazu kommen, muss Herrchen oder Frauchen für die Reinigung aufkommen.

Folgt man der Bedeutung des Ausstellungsmottos, dann heißt auf 'den Hund gekommen' nichts anderes als in schlimme persönliche, gesundheitliche oder geschäftliche Umstände gekommen zu sein. Der Hund ist, was einem noch bleibt, er muss also dafür herhalten, dass außer ihm kaum noch Verwertbares für Lebensfreude zu erhaschen ist. Eine genau gegenteilige Interpretation liefert der Hersfeld-Rotenburger Heimatkalender. Dort steht geschrieben, dass die Redensart 'auf den Hund gekommen' früher als Zeichen des sozialen Aufstieges betrachtet wurde. Wer sich ein Hundegespann leisten konnte, gehörte schon zu den Privilegierten, die mit ihren Bauchläden ohne den Einsatz von Muskelkraft übers Land zogen und ihren Geschäften nachgehen konnten.

Den Hund ins Zentrum kulturellen Interesses zu setzen, das können nur die Berliner. Ob die Ausstellung allerdings, vor allem der enorme Aufwand für die Museumspädagogik, nachhaltige Auswirkungen hinterlässt, darf getrost bezweifelt werden. Und um Frauchen oder Herrchen ins Museum zu locken, dafür gibt es effektivere Mittel. Das hat die Jahrhunderte alte Geschichte des Ausstellungswesens bewiesen.

Wenn allerdings nach dem Hund die Katze, dann der Goldfisch und am Ende der Papagei zu museal aufgearbeiteten Ehren kommt, müsste man dahinter ein wohldurchdachtes kuratorisches Konzept erahnen. Solange sich jedoch die Museumsleitung zu diesen Themen in Schweigen hüllt, müssen wir davon ausgehen, dass 'auf den Hund gekommen' nichts Weiteres als eine ausstellungstechnische Eintagsfliege ist. Vieles bliebe uns erspart, Gott sei Dank.

Auch auf die Gefahr, alle hochgeschätzten Hundebesitzer aus meinem Bekanntenkreis zu Feinden zu machen: schlimmer geht's nimmer. Mit der Ausstellung soll die weitere Vermenschlichung des Tieres vorangetrieben werden. Erst dann, wenn der Hund seinen Jagdinstinkt aufgegeben hat, seine Sinne denen des Menschen angepasst hat, wird er als sozial angepasster Domestik die volle und verdiente Anerkennung erhalten. Verhaltens- und Eignungsprogramme dazu liefert jetzt auch schon ein  'auf den Hund gekommenes' Museum.

Das andere, das Fremde, das Nichtkalkulierbare ist es schon immer gewesen, was unser Dasein in Atem hielt. Dazu hat auch der Haushund seinen Beitrag geleistet. Belassen wir ihn so, wie er uns die größte Freude bereitet: unberechenbar, störrisch und eigensinnig. In dieser Beziehung ist er uns doch so fremd wiederum auch nicht.

stopnews@galerie-schultz.de