Michael Schultz Daily News Nr. 984

Michael Schultz Daily News Nr. 984

Berlin, den 23. Juli 2015

Endlich hat er es geschafft: die chinesischen Behörden gaben dem systemkritischen Künstler Ai Weiwei seinen Pass zurück. Damit ist er ein freier Mann und kann mit seiner Kunst wieder die Welt bereisen. Vier Jahre lang wurde ihm dies verwehrt, gestern hatte er auf Instagram nebenstehendes Foto veröffentlicht. Vier Jahre lang durfte er das Land nicht verlassen; wegen angeblicher Steuerhinterziehung wurde er im Jahre 2011 am Pekinger Flughafen verhaftet und war anschließend 81 Tage inhaftiert. Die Vorwürfe gegen ihn wurden niemals wirklich aufgeklärt; so zumindest ist der öffentliche Eindruck. Es wird vermutet, dass zwischen Ai Weiwei und den Behörden ein Deal verabredet wurde, zu dessen Inhalt auch ein Stillschweigen darüber gehört. Seine erste Reise führt ihn nach Berlin. Dort lebt seine (Zweit)frau, mit der er einen Sohn hat; diesen will er nun endlich wieder sehen.  

Mit der Verhaftung von Ai Weiwei hatten sich schlagartig die Bedingungen für alle Künstler in China verändert. Steuern, die zwar auch für Kunst schon immer fällig waren, deren Hinterziehung vom Staat aber stillschweigend geduldet wurde, wurden plötzlich erhoben. Von jeder Auslandsüberweisung behalten seitdem die Banken 25% an Steuern ein. Die Ein- und Ausfuhrbedingungen für Kunstaustellungen  wurden verschärft; in der Folge von Ai Weiweis Festsetzung wurden Privatsammler unter die Lupe genommen. Einige von ihnen kamen ins Gefängnis, unter ihnen auch ein deutscher Spediteur, dem die Mithilfe bei Steuervergehen vorgeworfen wurde. 

Die Stimmung im Land war umgeschlagen. Zuvor war das Verhältnis zwischen Staat und Künstler eher unkompliziert. Je nach Großwetterlage waren die Daumenschrauben mal locker oder auch fester; aber sie waren für chinesische Verhältnisse berechenbar. Unter Künstlern hat Ai Weiwei in seiner Heimat nur wenige Freunde, weil sie ihm mehr oder weniger direkt die Verschlechterung ihrer Situation vorwerfen. Auch habe er mit seinen Politaktionen gegen den traditionellen Zusammenhalt der chinesischen Gesellschaft verstoßen; auf nichts mehr sind die Chinesen stolzer als auf ihre Völkergemeinschaft und ihr Land. 

Im Ausland hingegen wurde Ai Weiwei gefeiert wie kaum ein anderer chinesischer Künstler. Eine Ausstellung reihte sich an die andere; bei uns im Land im Berliner Gropius-Bau mit Besucherrekord, in München im Haus der Kunst, im Pérez Art Museum in Miami und in vielen Privatgalerien. Obwohl der Künstler sein Land nicht verlassen durfte, war seine Kunst allgegenwärtig. Im Juni dieses Jahres wurden gleich drei Ausstellungen in China eröffnet; ohne Genehmigung, aber mit Duldung; heißt es aus des Künstlers Umfeld. Damit wird für die Nichtwissenden der Hype um ihn weiter angeheizt; um in China ausstellen zu können, bedarf es keiner Genehmigung. Die Partei-Zensoren schauen schon mal vorbei; in der Regel aber erst nach den Eröffnungen. 

Seine Kunst ist das Schaffen von Öffentlichkeit. Nur darin ist er ein wahrer Meister. So denkt die überwiegende Mehrheit der chinesischen Künstler. Aber anstatt sie mitzunehmen war Ai Weiwei immer ein Einzelkämpfer, der ausschließlich seine eigenen Interessen verfolgte. Ihm ginge es zwar auch um die Aufdeckung von Missständen, diese wurden aber nur dann verfolgt, wenn die mediale Verwertung auf ihn fokussiert werden konnte. Ja, es gibt nicht wenige Zweifler, die ihm so manche von ihm veröffentliche Geschichte nicht abnehmen.

Wer Ai Weiwei verstehen will, darf ihn nur als Gesamtkunstwerk sehen. Im Herzen seiner Seele ist er ein eitler und selbstverliebter Politprovokateur, der mit dem Handy in der Hand durchs Leben wandelt, und jeden, der es will, daran teilhaben lässt. Dort, wo der Widerstand am stärksten ist, gibt es die effektivste Öffentlichkeit; sein handwerkliches Können hält sich in Grenzen. Seine Ausstellungen fokussieren sich gerne auf traditionelle Themen; er liebt die Entwurzelung. Komplette Häuser, einzelne Räume, ganze Fabrikhallen aber auch winzige Details werden dem angestammten Platz entrückt und in ungewohnten Kontext zur Diskussion gestellt.

Ai Weiwei liebt die Wiederholung, die Massierung. Er liebt das Cluster. In dieser Hinsicht, aber nicht nur darin, ist er chinesischer als man in China schlechthin sein kann. Gut möglich, dass dies mit ein Grund ist, sein Land zu verändern, damit er sich noch wohler in ihm fühlt. Dass in China nicht alles mit rechten Dingen zugeht, das ist bekannt. Bekannt aber auch ist, dass der allzu deutliche Hinweis darauf Repressalien nach sich zieht. Ai Weiwei geht verstärkt aus diesen hervor. Womöglich wohlkalkuliert. Willkommen zurück in der Freiheit.

stopnews@galerie-schultz.de