Michael Schultz Daily News Nr. 963

Michael Schultz Daily News Nr. 963

Berlin, den 24. Juni 2015

so ein bisschen aus der Zeit ist das schon, was gerade in Berlin geschieht: die britische Königin Elisabeth II ist gestern am frühen Abend gemeinsam mit ihrem Gemahl Prinz Philip (Herzog von Edinburgh) in Berlin gelandet. Für die Autofahrt ins Adlon, ihrer Berliner Unterkunft, wurde ein gutes Viertel des alten Westens der einst geteilten Stadt gesperrt. Hochsicherheitsstufe I, streng geheime Fahrroute und knapp 1.500 Polizeibeamte, die zum Schutz der 89 jährigen rund um die Uhr im Einsatz sind. ˈDas Ersteˈ ist live dabei, mit am Start Rolf Seelmann-Eggebert, der Dino der Hochadelsberichterstattung; er referiert über korrektes Auftreten der Zaungäste, über die Entourage und den Kleiderkoffer der Queen, über ihre Zofen, die nicht mitgereisten Hunde, den Hoteldirektor und die gesamte dritte Etage, in der sich der Hofstaat eingemietet hat. Ganz wichtig: trägt die Queen ihr Handtäschchen links, bitte nicht ansprechen - ihr Zeichen, dass sie in Ruhe gelassen werden will. Viel dummes Zeug zur besten Sendezeit.

Was die Fernsehbilder aber auch gezeigt haben war, dass im Vergleich zu ihren vier vorhergegangenen Auftritten das 'private' Interesse am Besuch der Königin deutlich zurückgegangen ist. Vorm Adlon wurde die Queen fast ausschließlich von den Günstlingen ihres Hofstaates erwartet, der ihr wohlbekannten 'offiziellen' Öffentlichkeit, dazu einige wenige Touristen, die von dem ganzen Rummel rund ums Brandenburger Tor angelockt wurden. Nichts Großes also, wirklich nicht. Nicht nur wegen des schlechten Wetters. Die Monarchie hat sich überlebt, der beste Beleg dafür sind die Einschaltquoten und Zuschauerzahlen. Sollte sich der Trend fortsetzen, wofür alles spricht, bleibt unserer Demokratie nichts anderes übrig, als Massen von Schulklassen zur Rennstrecke künftiger Staatsbeuche zu karren. Ausgestattet mit tausenden und abertausenden britischen Union Jack-Fläggchen, damit auch ein wenig Farbe ins Spiel kommt. In Nordkorea, der Mongolei und anderswo funktioniert das ganz gut. 

Ja, man muss die Dinge auch mal beim Namen nennen dürfen. Mit Gehässigkeit hat das nichts zu tun. Angesichts des großen Elends auf der Welt passen diese Jubelveranstaltungen nicht mehr so richtig in die Zeit. 15.000 Euro alleine muss der deutsche Steuerzahler für eine Übernachtung der Queen hinblättern. Nicht hinzugerechnet die Unterkünfte ihrer Günstlinge. Wozu das alles. Gerechtfertigt wird der große Aufwand mit dem bevorstehenden Referendum der Briten zu ihrem Europa-Verbleib. Dem widerspricht die Einladung durch Bundespräsident Gauck, der ja kraft seines Amtes sich aus solchen Debatten raushalten sollte. Die Konvertierbarkeit solcher Besuche muss heutzutage, leider, mit dem Retten vorm Ertrinken oder Verhungern hilfloser Menschen überprüft werden. Angesichts des großen Elends das uns umgibt, spricht alles für Verzicht. 

Die Berliner also haben jetzt die Queen in ihrer Stadt, und keiner weiß so richtig warum. Die Zeit der Ehrfurcht ist vorbei, daran hat die Royal Family mit ihren vielen kleinen und großen Skandalen hartnäckig gearbeitet. Die öffentlich zur Schau getragene Abneigung ihrer Majestät zu Diana, ihrer ehemaligen Schwiegertochter, hat zu einem tiefen Riss im Verhältnis zu ihren Untertanen geführt. Die Queen selbst hat damit letztlich auch das lange Sterben des britischen Königshauses eingeläutet. Doch im Buckingham Palast wird dieser Liebesentzug nicht wahrgenommen; bei einem gut gefüllten Glas Gin schwelgt man tagein tagaus in der Vergangenheit - der guten alten Zeit eben. Die unnötigen Kriege, Hunger, Flucht und Vertreibung, das waren die Themen von Diana. Für ihren Blick auf die Realität wurde sie von ihrer Majestät höchstpersönlich geächtet und aus dem Haus gemobbt.
Ihrem Lieblingssöhnchen Charles erlaubte und förderte sie amouröse Dates mit Camilla (ˈthe Horseˈ),  der Ehefrau eines ihrer Kavallerieoffiziere. Tiefe Abgründe.

Man muss gar nicht genau hinsehen, um festzustellen, dass es im Hause der Königsfamilie nicht viel anders zugeht, als in so manch drittklassiger TV-Soap. Einzig dabei, dass vieles von dem was dort geschieht unter den Teppich gekehrt wird. Das wenige aber, was der bunte Blätterwald des Boulevards regelmäßig aufwirbelt, sollte ausreichen, um über den von der Königsfamilie geforderten Respekt nachzudenken; ihr zumindest aber die Aufwartung zu verweigern. Das tun die Berliner gerade; alleine schon deshalb lohnt es sich dort zu leben.

Arm aber sexy - der Berliner Überlebensslogan von Klaus Wowereit wird auch nach seinem Rücktritt gelebt. Die Berliner selbst wissen damit umzugehen, das zeigt auch das deutliche Desinteresse am Queen-Besuch. Prunk und Gloria war angebracht zu Kaisers Zeiten, heutzutage sind die Themen vielfältiger. Berlin zu verstehen ist so schwer nicht; einer der das Ticken der Stadt überhaupt nicht kapiert, ist der CDU-Innensenator Henckel.
Sein ˈNeinˈ zur vollumfänglichen Homo-Ehe  kam in der Hochburg der Schwulen und Lesben gar nicht gut an. Jetzt will er per Gesetz verbieten lassen, dass Kinder im Hoheitsgebiet der Stadt betteln dürfen. Auch nicht in Begleitung ihrer Eltern oder volljähriger Erwachsener. Solange das Betteln um die Gunst der Königin erlaubt und sogar gefördert wird, solange sollte das Betteln um ein Stück Brot kein Akt rechtstaatlicher Untersagung sein. Auch Armut muss gelebt werden dürfen.