Michael Schultz Daily News Nr. 988
Michael Schultz Daily News Nr. 988
Berlin, den 29. Juli 2015 augenblicklich erleben wir einen Sommer, der wirklich keiner ist. Die Temperaturen liegen nächtens zwischen 10 und 15 Grad, am Tage geht es je nach Gegend bis auf 22 Grad in die Höhe. Das hat zwar was erfrischendes, um diese Jahreszeit aber sind wir anderes gewöhnt. Dreißig Grad und mehr sollte das Thermometer Ende Juli eigentlich in die Höhe schnellen. Doch diese Grade hatten wir vor knapp vier Wochen; im bayerischen Kitzingen wurde mit 40,3 Grad der gar wärmste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (1881) gemessen. Diesem extrem heißen Tag folgte ein Auf und Ab des Wetters; Hagelkörner so groß wie Tennisbälle, wolkenbruchartige Regenfälle, starke Sturmböen, die mit ihren Verwüstungen den Verkehr zeitweise lahmlegten, und extreme Temperaturschwanken. Aus dem Stöhnen kamen wir nicht mehr heraus.
Seit einigen Tagen ist nun Ruhe eingekehrt. Die Städter, die ja bekanntermaßen am stärksten unter den Schwankungen leiden, erfreuen sich der Abkühlung, auch wenn sie nur mit Strickjäckchen das Haus verlassen können. Der Himmel ist immer gut bedeckt, man folgt den Wolkenformationen und erfreut sich an den ständig neu entstehenden Himmelsbildern. Man spricht von Sommerfrische, die endlich mal auch in der Großstadt zum Genuss wird. Früher war es unter den gut Betuchten üblich, dass die heißen Sommer in der Frische auf dem Land verbracht wurden. Der Zielort wurde zum Begriff: man zog in die Sommerfrische, damit gemeint war die jahreszeitliche Übersiedlung aus der Stadt auf das Land. Der Ausdruck 'Sommerfrische' hat sich im 19. Jahrhundert verbreitet, heute ist er zugegeben ein wenig veraltet. Im Wörterbuch der Brüder Grimm wird der Begriff definiert als ˈErholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeitˈ oder ˈLandlust der Städter im Sommerˈ. Das Übersiedeln vom Quartier in der Stadt auf den Landsitz ist schon beim Adel in der Antike üblich gewesen. Die Gründe sind anfangs primär wirtschaftlich, der Adel hatte im Sommer den landwirtschaftlichen Betrieb zu betreuen, der die wirtschaftliche Basis seiner Herrschaft bildete. (Wikipedia) Urlaubszeit war dann im Winter, wo die Landwirtschaft ruht, man konnte in die Stadt übersiedeln und am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Daneben schätzte man aber auch, den im Sommer bedenklichen hygienischen Bedingungen der Stadt entkommen zu können. Während der mittelalterliche Adel Europas eher aus politischer Notwendigkeit heraus zwischen verschiedenen befestigten Ansitzen wechselt, wird mit dem Aufblühen der Städte seit der beginnenden Neuzeit (Renaissance) in Kreisen der Aristokratie der saisonelle Wechsel von Stadtpalais (Winterschloss) in die Sommerresidenz wieder üblich. Ab der Industrialisierung geht der Brauch auf das gehobene Bürgertum über. Das Wort Sommerfrische soll dem Italienischen entstammen, venezianisch spricht man, dass ˈder einzige Zweck des Spaziergangs zu sein scheint, Frische und Kühlung zu suchen. Sie sagen nicht 'spazieren gehen', sondern 'prendere il fresco' (Kühlung nehmen)ˈ. Für das Deutsche ist eine frühe Verwendung aus dem Bozener Raum überliefert, wo die Bürger aus dem heißen Talkessel in die kühlen Sommerwohnungen des umliegenden Mittelgebirges zogen. Ab dem 19. Jahrhundert wird Europa durch die Eisenbahn erschlossen, das früher aufwändige, unbequeme und auch gefährliche Übersiedeln des gesamten Hausstandes wird zur Erholungsreise. Damit war ab Mitte des 19. Jh. die Sommerfrische fester Bestandteil des Sommerlebens der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgertums. Wer sich keinen eigenen Sommersitz leisten konnte, quartierte sich in Gasthäusern und dann zunehmend Privatquartieren ein. So sind Sommerfrische und der beginnende Tourismus eng miteinander verbunden, zur Unterkunft kommen dann auch die örtlichen Unterhaltungsangebote für die Sommerfrischler, auch Sommergäste genannt, wie das vorher unbekannte Freibaden an Seen, Wandern oder Bergsteigen. Soweit die Auszüge aus dem Wikipedia-Eintrag zur Sommerfrische. Wer also im Sommer die Temperaturen eher ein wenig niedriger erleben will, der erholt sich eher in heimatlichen Gefilden, dort wo der Landwind die erhoffte Erfrischung verspricht. Zufluchtsorte in den Bergen versprechen ähnliches, und damit die Gäste auch dort auf ihre Kosten kommen, wird so manches Spektakel organisiert. Kunst- und Kulturfestivals gibt es vielerorts. Das österreichische Kurbad Bad Gastein beispielsweise konzentriert sich seit einigen Jahren auf ein großes Kunstwochenende. Unter dem Motto 'Sommer.Frische.Kunst' werden Künstler aus aller Welt eingeladen. Von morgen an bis zum 2. August gehört die Stadt deshalb den Kunstfreunden. Zahlreiche Kunst- und Kulturveranstaltungen werden geboten, darüber hinaus gewährt die Gemeinde ausgewählten Stipendiaten alljährlich eine vierwöchige Sommerfrische. Dem Wetter zu entfliehen ist heutzutage ohne großen Aufwand zu bewerkstelligen. Ein wenig Flexibilität ist alles, was man braucht. Auch wenn es viele von uns eher in die Wärme zieht, die ländliche Erfrischung ist durch nichts zu ersetzen. Neuerdings wieder werden verstärkt die den Großstädten angegliederten Naherholungsgebiete genutzt. In Berlin ist dies der Wannsee (Foto oben), von wo man auf den 'Terrassen' sich bei Kaffee und Kuchen einen Nachmittag lang die Frische ums Gemüt wehen lassen kann. Wer Hunger nach Bildern hat, sollte nach Augsburg reisen. Dort wird ab morgen in der Galerie Noah (Eröffnung 19.30 Uhr) unter dem Ausstellungstitel 'zwischen den Welten' eine retrospektiv angelegte SEO-Ausstellung zu sehen sein. (bis zum 9. September 2015, Beim Glaspalast 1, 86153 Augsburg) Wenn auch das Wetter selten so ist, wie es uns gerade passt; genießen kann man jedes. |
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