Michael Schultz Daily News Nr. 973
Michael Schultz Daily News Nr. 973
Berlin, den 8. Juli 2015 den Beweis, zu einer bestimmten Zeit an einem besonderen Ort gewesen zu sein, liefert man heutzutage per Selfie-Posting bei Facebook ab. Man stellt sich beispielsweise am Abend vor den bunt beleuchteten Pariser Eiffelturm, lächelt in die Kamera, drückt ab und Minuten später weiß die Fangemeinde, wo man sich gerade aufhält. Doch mit dem soll es bald Schluss sein. Morgen wird in Brüssel darüber debattiert: Schluss mit der sogenannten Panoramafreiheit, die uns bisher die gebührenfreie Fotoveröffentlichung von urheberrechtlich geschützten Bauwerken garantierte. Ein Verstoß dagegen könnte in Zukunft bis zu eintausendfünfhundert Euro Urhebergebühren kosten; viel Geld für den Gruß an die Freunde. Das europäische Gesetz über Urheberrecht soll der Zeit angepasst werden, und dazu gehört auch die Vereinheitlichung der sogenannten Panoramafreiheit. Dabei ist vorgesehen, dass für jede Veröffentlichung, und dazu gehören im Besonderen die sozialen Netzwerke, die Inhaber der Rechte an Bauwerken, Brücken, Türmen, etc. vorher um Zustimmung für 'kommerzielle Nutzung' befragt werden müssen. Wie das in der Praxis gehen soll, dazu allerdings werden keine Vorschläge gemacht. Alles was verschlossen in privaten Fotoalben landet, soll davon verschont bleiben. Dort jedoch, wo die Fotos in Verbindung mit Werbung veröffentlicht werden, soll künftig der Urheber bzw. seine Rechtsnachfolger dafür entschädigt werden. Problematisch dabei wird das Hochladen bei Facebook, wenn bei der Veröffentlichung neben dem Bild Werbung angezeigt wird. In solchen Fällen, von denen tagtäglich Abermillionen Selfies vor urheberrechtlich geschützter Kulisse im Netz landen, sollen künftig Gebühren fällig werden. Noch gibt es Widerstand gegen diese Spezifizierung im Gesetz; doch sollte es tatsächlich dazu kommen, besteht die Gefahr, dass durch Einschränkung der Panoramafreiheit bestehende Persönlichkeitsgrundrechte ausgehebelt werden. Per Definition ist Facebook Bestandteil unserer sozialen Netzwerke; wird man innerhalb dieser in seiner öffentlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt, verstößt dies gegen die vom Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte. Dabei geht es insbesondere um die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Berufsfotografen und Verlage dürften zum Beispiel gebührenfrei keine Fotos von geschützten Grünanlagen veröffentlichen, wenn sich darin ungefragt eine Wildschweinfamilie eingenistet hat. Bilder, die üblicherweise die Welt bewegen. Per Photoshop wird das Gebührenpflichtige entfernt; doch an dem was dann übrigbleibt, ist auch das öffentliche Interesse entfernt worden. Da ist vieles nicht zu Ende gedacht. Doch die Lobbyisten der Verwertungsgesellschaften machen mächtigen Druck, und dem gilt es standzuhalten. Damit unsere Alltagskultur auch in allen Schichten unserer Gesellschaft ankommt, wäre weitaus weniger Urheberschutz angebrachter. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten rasant verändert. Nach vorne anpassen ist jetzt gefragt. Öffentliche Räume einschränken, und nichts anderes wäre eine gesetzliche Behinderung bei der Panoramafreiheit, wäre ein großer Schritt zurück in die Steinzeit, in der der Aufenthalt vor fürstlichen Bauwerken üblicherweise nur Auserwählten gestattet war. Im Harmonisierungswahn europäischer Binnenrechte hatten die Brüsseler Bürokraten selten ein glückliches Händchen. Die größte Dummheit allerdings wäre die Verabschiedung einer Urheberrechtsnovelle, die unsere Persönlichkeitsrechte einschränken würde. Öffnen statt einschränken; das ist jetzt angesagt. Bei uns im Land wird gerade eine Gesetzesnovelle zum Kulturschutz erarbeitet. Darin soll auch der europäische Kulturtransfer deutlich eingeschränkt werden. Die deutschen Politiker wollen ihre Kulturgüter schützen, und den Leihverkehr ins Ausland spürbar einschränken. Für viele private Sammler gleicht dies einer Enteignung. Denkt man diesen Vorgang fort, könnte der Weiterbau des Humboldtforums sofort eingestellt werden. Was dort künftig zu sehen sein wird, sind wahre Schätze fremder Kulturen, die ausnahmslos unfreiwillig zu uns gelangt sind. Zum Schutze der fremden Kulturen, aber auch damit die unersetzlichen Fetische zu ihren Ursprüngen zurückfinden, wäre nichts vernünftiger, als diese zurückzuführen. Kulturschutz bei uns im Land würde dann erst Sinn machen.
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