Helge Leiberg: Brandenburgischer Kunstpreis - Das Interview in der Märkischen Oderzeitung
Der ehemalige Gasthof in Werbig ist genau der richtige Ort für den Maler, Zeichner, Bildhauer, Musiker und Büchermacher Helge Leiberg. Der Saal dient ihm als Atelier, und so ist es leicht vorstellbar, wie seine Figuren aufleben, gleichviel, ob als Bronzeskulpturen, in Öl gemalt oder auf Karton gezeichnet. Der Künstler selbst findet gültige Worte für ihren Ausdruck: »Die Glieder strecken, über uns hinausspringen, in uns hinein schlüpfen, dem Anderen entgegen stolzieren, sein Herz stürmen, miteinander turteln, tingeln und tänzeln«.
Zuerst faszinieren die gemalten oder in Bronze geformten Tänzerinnen und Tänzer durch ihre innere Ruhe. Selbst dort, wo sie sich dem Rausch der Sinne hingeben, legen sie dem Betrachter nahe, den Weg der Selbstbestimmung zu wählen und allen Ballast des Alltags abzuwerfen. Selten bleibt eine solche Botschaft in der Kunst so dringlich und zugleich diskret wie in den Arbeiten des 1954 in Dresden geborenen Künstlers. Von Anfang an war er darauf aus, nicht nur der Inspiration zu folgen, sondern auch alle technischen Möglichkeiten der verschiedenen Künste zu erfassen und sich nutzbar zu machen.
Am Anfang waren es Super-8-Schmalfilme, die Leiberg übermalte und schon früh für Performances nutzte, als Experimente dieser Art in der ddr nicht unbedingt als Kunst verstanden wurden. Nach einer Lehre als Positiv-Retuscheur war er Meisterschüler des Grafikers Gerhard Kettner an der Hochschule für Bildende Künste in seiner Heimatstadt. Mit Musikern, Tänzern, Schauspielern und Schriftstellern fand er Ausdrucksmöglichkeiten, die seinem Teamgeist sehr entgegenkamen. Trotz bewegter Zeiten vergangener Jahrzehnte haben die damals entstandenen Arbeitsbeziehungen bis heute Bestand, sind Quell seiner Inspiration.
Mit Malern wie A.R. Penck oder Musikern wie Lothar Fiedler verbindet ihn eine enge Freundschaft. Mit Dichtern wie Bert Papenfuß entstanden Künstlerbücher, 1990 gründete Leiberg die Performance-Gruppe Gokan, in der er mit der Tänzerin Fine Kwiatkowski und den Musikern Lothar Fiedler und Dietmar Diesner eine Kunstform entwickelte, die das gleichberechtigte Miteinander zur Voraussetzung hat, das Noise-Painting. Dabei zeichnet Helge Leiberg live auf der Folie eines Overheadprojektors, vor dessen an die Wand geworfenen Bildern Tänzer oder Schauspieler agieren. Noch heute denkt er voller Bewunderung und Dankbarkeit an Auftritte mit Christa Wolf, die in Lissabon, Leipzig, Paris, Neuhardenberg und anderswo aus ihrer Erzählung Medea las, während er für ihre Geschichte spontan Bilder erfand. Leiberg, der zu Ausstellungen und Performances nach Brasilien, China, England, in die usa, Spanien und nach Japan eingeladen wird und in der glücklichen Lage ist, von der renommierten Galerie Michael Schultz betreut zu werden, ist ohne jede Attitüde und sieht sich nicht als erfolgsverwöhnten Star. Er fühlt sich nicht nur wohl unter dem Dach des Berliner Galeristen. Leibergs Lebens- und Arbeitsprinzip kommt entgegen, dass Schultz sich nicht nur um Ausstellungen der bei ihm angesiedelten Künstler kümmert, sondern auch den Austausch untereinander fördert, was stets Anregung bedeutet, aber auch eine Art familiärer Geborgenheit. Sein Engagement für das Schul- und Bethaus Altlangsow spricht nicht nur für seine »Bodenhaftung«, sondern auch für seine Verbundenheit mit dem Oderbruch. Nach dem Mauerfall wollte er für sich und seine Familie das West-Berliner Inseldasein beenden und suchte nach einem Lebens- und Arbeitsort, der »den Weg ins Offene« ermöglicht, aber auch gewachsene Freundschaften pflegen lässt. 1984 war Helge Leiberg von Dresden nach Berlin-Charlottenburg umgezogen, wie er seine Ausreise aus der DDR ausdrücklich nennt. Verfolgungsszenarien hält er für unangemessen, obwohl er sehr wohl Repressalien der Dresdener Kulturbehörden als Reaktion auf von ihm initiierte Kunstprojekte hinzunehmen hatte. Hier im Ländlichen erscheinen seine sich grazil bewegenden Figuren besonders anmutig. Neben einer Zwischenbilanz seines bis dahin geschaffenen Werks vielleicht ein Grund für den Künstler, sich neben seinen Gemälden und Zeichnungen auch wieder verstärkt der Skulptur zuzuwenden. Sein Freund und Kollege Penck erklärt Leibergs Interesse, die filigranen Gestalten von der Bildfläche auch in die plastische Dimension umzusetzen so: »Wenn der Mann in die Jahre kommt, will er sich der Ewigkeit aufprägen. Irgendwie kommt man in das Alter, wo man denkt, man will was Dauerhaftes machen« Gut möglich, dass die Vielfalt und das teils Flüchtige in Leibergs Schaffen dem Künstler nahelegen, Spuren im öffentlichen Raum zu hinterlassen. Zurzeit bereitet Helge Leiberg mehrere Ausstellungen vor, die ihn quer durch die Welt führen werden. Dafür will er seinen dem Renaissance-Dichter Dante gewidmeten Zyklus vollenden, und er wird seine Zusammenarbeit mit der Tänzerin und Choreografin Arila Siegert fortsetzen, die bei ihren Operninszenierungen auf Leibergs live übermalte Bühnenraumgestaltung setzt. Dass für Leiberg letztlich die Malerei das entscheidende Medium bleibt, lässt sich daraus schließen, dass er sich seit Jahren mit großformatigen Bildern am Brandenburgischen Kunstpreis beteiligt. In dessen zehntem Jahr würdigt die Jury die »Kontinuität in der Veränderung«, die seine Figuren »toben und streiten, über die Welt hinweg tanzen und im Selbst triumphieren« lässt.
Peter Liebers