Ein Interview: Manfred Bissinger spricht mit Bernd Kirschner
Am Anfang war der Bausparvertag
Ein Ateliergespräch mit Bernd Kirschner.
Von Manfred Bissinger
MB: Wohnen Sie im Atelier?
BK: Nein, ich will doch mal abschalten können. Die Bilder bleiben sowieso immer im Kopf. Vor allem die, die noch nicht fertig sind. Im übrigen gilt für mich: Wer weg geht, kommt sehr gerne zurück.
MB: Warum sind Sie Künstler geworden?
BK: Ich wollte schon früh kreativ arbeiten, alles andere war mir mehr oder weniger zu strukturiert.
MB: Zu wenig frei?
BK: Ganz genau, zu unfrei.
MB: Warum denn Maler und nicht Musiker, Schauspieler oder Schriftsteller?
BK: Ich wollte etwas tun, was ich kann und was mir Spaß bringt. Ich hatte unendlich viele Ideen. Die könnte ich natürlich auch aufschreiben, aber als Maler bin ich einfach besser, das ist mein Ding. Es langweilt mich nie; es ist unerschöpflich.
MB: Wann ging es los?
BK: Im Jahr 2000 als Student an der Kunstakademie – nein, nicht in Berlin, in Stuttgart.
MB: Stuttgart? Woher kamen Sie?
BK: Aus dem Allgäu, aus einem kleinen Dorf. Es war und ist sehr schön dort. Ab und an kehre ich zurück.
MB: Was meinten die Eltern, als Sie Maler werden wollten?
BK: Sie hatten beide keine richtige Ahnung, was das bedeuten könnte. In meiner Familie gab es niemanden, der je mit Kunst zu tun gehabt hätte. Aber meine Eltern haben mich immer unterstützt, es gab nie ein Problem. Auch wenn es mein Vater, der Förster ist, sicher lieber gehabt hätte, wenn ich etwas Handfestes geworden wäre.
MB: Bäume fällen?
BK: Eher etwas mit sicherem, festen Einkommen. Er hat das aber nie gesagt, ich habe es nur gespürt. Heute sind meine Eltern stolz, sie kommen ab und zu zu den Ausstellungs-Eröffnungen.
MB: Haben Sie schon als Schüler gezeichnet?
BK: Ich hatte nie richtig Zeichenunterricht, meine Kunstlehrer waren relativ mau. Ich habe für mich gezeichnet; es hat einfach Spaß gemacht, es hat mir gut getan.
MB: Was hat denn den letzten Ausschlag für die Malerei gegeben. Es hätte auch Design sein können?
BK: Ich habe es aus dem Bauch heraus entschieden ziemlich spontan; an der Akademie waren 200 Mappen abgeliefert worden, von denen gerade mal zwanzig ausgewählt werden sollten. Dann kam noch eine mehrtägige Prüfung. Sieben Leute sollten genommen werden: Mir war von Anfang an klar, dass ich genommen würde, ich war optimistisch, wenn nicht, hätte ich das ein Jahr später noch einmal wiederholt. Ich hatte einfach keine Zweifel.
MB: Sie waren zwanzig ...
BK: ... und 2006, mit 26, hatte ich das Diplom. Ich gehörte zu den ersten Drei an der Akademie, die ein Diplom ablegten.
MB: Und wie war das? Haben Sie Ihren Prüfern die Tiefgründigkeit ihrer Bilder erklären müssen, diese faszinierende Mischung aus Mensch und Natur?
BK: Damals malte ich noch anders.
MB: Aber ihr Sujet ist doch seit Jahren ähnlich geblieben. Heute malen Sie nicht mehr ganz so abstrakt, inzwischen schleichen sich in den Nebel der Bilder immer mehr Menschen. Gibt es dafür einen Grund?
BK: Die Haltung von Menschen interessiert mich immer stärker. Menschen zeigen doch mit ihrer Haltung Gefühle. Das will ich auch. Ich versuche die Stimmung, die ich spüre, auf die Haltung der Figuren zu übertragen. Das ganze unterstützt durch Farbigkeit. An der Akademie habe ich ganz viel Akt gezeichnet, teilweise fast jeden Tag, manchmal bis zu zwölf Stunden lang. Ich wollte Proportionen lernen. Jetzt kann ich Menschen total gut malen.
MB: Wenn Sie malen, haben Sie dann den späteren Betrachter vor Augen?
BK: Nein, eigentlich nur mich selber. Wichtig ist, dass das Bild mir gefällt. Für mich muss Kunst authentisch sein. Das ist mein großes Kriterium. Wenn es aufgesetzt wirkt, dann ist es meistens nicht gut. Natürlich gibt es Ausnahmen.
MB: Wenn jetzt ein Sammler käme und sagen würde, bitte mach das doch so oder so, würde das funktionieren?
BK: Eher nicht. Ich würde es sicher können, aber nicht wollen. Mit allen Bildern, die von mir gezeigt werden, muss ich einverstanden sein, sonst geht es nicht. Schließlich ist es ein Teil von mir, der da öffentlich wird. Da fühlte ich mich schlecht, wenn ich die Ideen von anderen übernommen hätte.
MB: Sind denn die dunklen, oft blau-grünen, manches Mal verschatteten, manches Mal von Nebel verschleierten Bilder Szenen Ihrer Jungend als Försterssohn?
BK: Es kann schon sein, dass da etwas einiges einfließt. Aber letztendlich bin ich immer auf der Suche nach neuen interessanten Stimmungen. Mich interessiert die Atmosphäre - überall.
MB: Hat Bernd Kirschner eine Botschaft, die er verkünden will? Wollen Sie uns etwas mitteilen?
BK: Das ist bei jedem Bild individuell. Ich male keine politischen Bilder. Es gibt Künstler, die ganz klar eine Botschaft verbreiten. Bei mir spricht jedes Bild seine eigene Sprache.
MB: Ich hätte viele Ihrer Bilder ökologisch interpretiert?
BK: Das kann man, ja. Das ist einer der Punkte, die mir wichtig sind. Ich sollte es vielleicht allgemeiner sagen. Grundsätzlich muss bei mir ein Bild offen sein für Interpretationsmöglichkeiten: Der Betrachter soll sich das Bild weiter oder auch zu Ende denken. Ich liefere die atmosphärische Stimmung, manchmal auch eine gewisse Traurigkeit. Für mich ist es spannend, wenn ein Bild zum Nachdenken anregt, wenn der Betrachter selber versucht, herauszubekommen, was da passiert.
MB: Sind denn Emotionen im Spiel?
BK: Ja, ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Ich habe oft Skizzen im Kopf, die aber wandelbar sind und Interpretationen zulassen, für den Prozess des Malens. Das funktioniert nicht immer. Manches Mal kämpfe ich mit den eigenen Ideen.
MB: Ärgert es Sie, wenn Sie um eine Interpretation Ihrer Kunst gebeten werden?
BK: Wenn sich einer die Mühe macht, zu einer Vernissage zu kommen, um sich meine Bilder anzusehen, dann hat er auch das Recht, alles zu fragen. Natürlich ist es mir lieber, wenn ich nichts dazu sagen muss, aber jede Frage beantworte ich ehrlich. Was auf den Bildern zu sehen ist, will ich nicht erklären.
MB: Aber Sie wollen schon, dass sich das Publikum mit Ihrer Kunst identifiziert?
BK: Das liegt nicht in meiner Hand. Wenn es jemanden nicht gefällt, ist das auch völlig ok. Mir ist lieber, einer findet das richtig scheiße, als einfach nur völlig belanglos.
MB: Wie steht es um Ihre Vorbilder?
BK: Künstlerische Vorbilder? Es gibt so viele gute Maler. Ich habe kein Vorbild, dem ich nacheifern will.
MB: Wer hat Sie denn als junger Mann an der Akademie beeindruckt?
BK: Grundsätzlich gibt es keinen Einzelnen, der mich über die Maßen beeindruckt hat. Ich sagte es schon, mich beeindruckt so etwas wie Haltung.
MB: Ein Beispiel bitte?
BK: Ich finde zum Beispiel Mark Rothko einen genialen Maler. Als ich relativ klein war, konnte ich nichts mit ihm anfangen, aber jetzt finde ich ihn einfach grandios, man sieht sich seine Bilder an, die sind total meditativ, einfach beruhigend. Wenn ich richtig viel Geld hätte, würde ich mir, glaube ich, einen Rothko kaufen.
MB: Hat er Sie beeinflusst?
BK: Meine Sachen sind komplett anders, das heißt, er ist ein Super-Maler, aber er hat mich in der Kunst, die ich mache, vielleicht nur darin beeinflusst, dass mir die Stimmung in den Bildern wichtig ist. Aber die Art und Weise, wie man zu so einer Stimmung kommt, die funktioniert zum Glück bei allen ganz anders.
MB: In einem Ihrer Kataloge wird Bezug genommen auf Caspar David Friedrich. Hat Sie das gefreut?
BK: Ich denke über solche Vergleiche wenig nach. Es gibt so viele Bilder auf der Welt; der Mensch versucht gerne einzuordnen, das ist so eine Art Verlangen. Ich kann damit leben. Natürlich male ich figürliche Bilder in einer stimmungsvollen Landschaft, das hat mit Caspar David Friedrich zu tun, aber eigentlich ist es auch wieder völlig anders.
MB: Zurück zu Ihrer Maler-Karriere. Als Sie Ihr Diplom hatten, sind Sie gleich ab nach Berlin?
BK: Nein. Ich habe mir das überlegt. Viele meiner Kommilitonen sind nach Berlin gegangen. Ich hatte damals noch keine Lust auf Berlin. Ich komme aus dem Dorf, vielleicht liegt es daran. Es war mir zu groß. Ich hatte für mich das Gefühl, dass es besser ist, einfach und in Ruhe zu malen.
Dann habe ich nachgedacht, wo ich das am besten kann. Ich war öfter am Bodensee, in Konstanz, und habe da für mich beschlossen, ich will da erstmal ein paar Jahre arbeiten, habe ein Atelier in Konstanz gemietet und eine Wohnung genommen.
MB: War das so einfach? Haben Sie damals schon gut verkauft?
BK: Überhaupt nicht. Das war ein Risiko. Meine Eltern hatten einen Bausparvertrag für mich, der eigentlich nach dem Studium für ein Häuschen gedacht war. Es war jetzt meine Investition in die Zukunft. Viel nachgedacht habe ich darüber nicht. Die Stimmung von Konstanz und dem Bodensee haben mich inspiriert. Ich konnte mich ohne Ablenkung entwickeln. Irgendwann kam dann das Bedürfnis nach der großen Stadt. Ich plane so was nie.
MB: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Michael Schultz?
BK: Es begann kurz nach dem Studium. Er hatte etwas von mir gesehen und wollte mehr wissen. Meine Eltern hatten mir zum Akademieabschluss meinen Wunsch nach einem New York-Trip erfüllt. Ich bin dann noch zur Messe nach Miami, wohin mich Michael Schultz eingeladen hatte und wo er kleinere Arbeiten von mir zeigte. Es war wie ein Traum. Seitdem stellt er mich immer wieder aus.
MB: Weltweit?
BK: Ja, das ist ungeheuer positiv. Die Galerie und ich - wir arbeiten wirklich gut zusammen. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch. Wenn ich etwas mache, möchte ich es so gut wie möglich machen. Kunst macht mir einfach Spaß, und es ist wunderbar, wenn meine Arbeiten weltweit zu sehen sind.
MB: Können Sie denn schon davon leben?
BK: Gerade mal so. Sparen konnte ich noch nichts.
MB: Würden Sie sagen, Sie haben Glück gehabt?
BK: Ja, absolut. Es gibt viele sehr gute Künstler, die nicht vom Verkauf ihrer Bilder leben können. Was mich betrifft, so bin ich optimistisch. Ich zweifle nicht an mir, ich habe eine wunderbare Galerie, vor allem aber sehe ich noch Potential, mich zu entwickeln. Das ist mir das Wichtigste, Zeit für Experimente zu haben, die auch ruhig mal schief gehen dürfen.
MB: Und irgendwann wird der Schwabe Kirschner auch sparen können.
BK: Das wäre natürlich gut, aber es ist nicht das Wichtigste. Wichtig ist nur, immer weiter Kunst machen zu können und zum Beispiel nicht Taxi fahren zu müssen, um die Leinwände, die Farben und das Atelier finanzieren zu können. Da ginge zu viel Energie verloren.