1st Venice Triennale in the name of Freedom in the Art

NATURA NUTRIX – HOMO VORAX

Palazzo Albrizzi
Assoziazione Culturale Italo-Tedesca
Cannaregio 4118
30121 Venezia

http://www.acitve.it/
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Bernd Kirschner – Rituale

Obwohl er sich der Darstellung von Naturlandschaften verschrieben hat, sucht man auf Bernd Kirschners Gemälden vergeblich einen ruhenden Pol. Vielmehr vermittelt er den Eindruck, sämtliche Bildgegenstände seien in sanfter Bewegung begriffen. Ob es die Wasserflächen sind, welche auf beinahe allen seinen Arbeiten den Bildgrund abgeben und auch eine metaphorisch zu begreifende Rolle spielen, die Menschen, die Vegetation oder angedeutete Luftströmungen: Immer verspürt der Betrachter eine vage, kaum zu definierende Unruhe, die weniger vom Abbildungsgegenstand ausgeht, als dass sie bewusstes Resultat eines eigenwilligen malerischen Vorgehens sind. Bernd Kirschner beschränkt seine Palette auf einige wenige Farben, vornehmlich Blau und ein zartes Rot, die er in zahlreichen Schichten auf die Leinwand aufträgt. Feine Lasuren lassen tiefere Farblagen durchschimmern und geben den Flächen Tiefe, dann wiederum überraschen entschlossen gesetzte Pinselzüge und wie zufällig und doch absichtsvoll platzierte Reflexe, Farbrinnsale, -tropfen -schlieren und -flecken, die gewisse Bereiche der Textur strukturieren und jenen besagten Effekt verhaltener Regung auslösen, welche die gesamte Komposition in Schwingung versetzt. Kirschner erfasst den physischen Reiz des lebenspendenden und lebensvernichtenden Wassers, des stärksten und wandlungsfähigsten der Elemente und macht es zum Schauplatz fundamentaler körperlicher und mentaler Erfahrung – zum Beispiel mit einem Gemälde, welchem er den Titel Rituale gab. Er lenkt den Blick auf eine nicht verortbare Situation, die trotz dieser vorgeblich präzisen Benennung Rätsel aufgeben will. Eine Anzahl vereinzelter männlicher Gestalten, nackt oder bekleidet, bewegt sich in einem Gewässer. Es bleibt unklar, welche Auswirkung dieses – freiwillige oder erzwungene – Bad auf die silhouettenhaft dargestellten Akteure haben wird, denn während eine Person ekstatisch-verzückt die Arme ausbreitet, hadern seine Gefährten – oder besser: Leidensgenossen? – offensichtlich mit ihrem Missgeschick; ein Kontakt unter ihnen findet nicht statt. Erwartungsvolle Blicke wenden sich nach oben in Richtung einer dem Betrachter verborgenen Erscheinung, während ihre Körper in diffusen rötlich-weißen Vernebelungen zu verdampfen scheinen. Erleben wir Wiedergeburt, Läuterung oder Untergang?  Obwohl die anonymen Gestalten mit einer Ausnahme bis zur Gürtellinie statisch im feuchten Nass stehen und sich nur geringfügig rühren, bilden sich konzentrische Wasserkreise mit unterschiedlichen Radien um ihre Leiber. Wiederholt lässt Bernd Kirschner derartige ornamentale Elemente einfließen, um die Komposition zu gliedern und gleichzeitig ein technisches Geschick zu demonstrieren, welches sich auch im  prävalenten Umgang mit seinen fotografischen Vorlagen beweist, welchen er in der malerischen Umsetzung den Anschein fiktiver Trugbilder zu verleihen vermag.

Sabina Sakoh – May '15 – in private

Vielschichtig ist das Arrangement der Kompositionen Sabina Sakohs, verwickelt stellen sich die szenischen Handlungsabläufe auf ihren Gemälden dar und deren Inhalte entziehen sich einer gültigen Deutung. Die Malerin entführt uns Betrachter in Traumwelten, deren verklausulierte Ikonographie sowohl auf aktuelle, subjektiv interpretierte Probleme, als auch unvergängliche Themen verweist. Während die Ausführung aufgrund des malerischen Duktus und findiger Samplings in künstlerisch-stilistischer Hinsicht durchaus zeitgemäß anmutet, offenbart die Organisation der Bildelemente die eklatante Bedeutung vielfältiger Inspirationsquellen aus der Vergangenheit. Sabina Sakoh greift auf typische, ihr als verwendbar vorkommende Darstellungsmuster zurück, welche die Kunst des  Manierismus, des Barock und der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts auszeichnen und macht sich deren schöpferische Konzepte zu Diensten. Lebendigkeit und Tiefe, die dramatische Verteilung von Licht und Schatten, symbolträchtige Formulierungen, die exaltierte Gestik einer grotesken Personnage und schließlich die Präzision und die individuelle Erfassung von Details sind Resultate dieser originellen, wachen Rezeption. Ihr Werk May '15 – in private inkludiert alle diese Eigenschaften. Man glaubt sich auf den ersten Blick mit einer bukolischen Schäferszene konfrontiert: Ein junger, lässig im Grün ausgestreckt ruhender Mann, welcher die Lektüre eines Buches kurz unterbrochen hat, blickt uns durch seine modische Sonnenbrille selbstgefällig an. Seine grün-braune Tarnkleidung  outet ihn als Kombattanten, der offenbar in einen idyllischen Lebensbereich eingedrungen ist, dessen berückende und zugleich beunruhigende Eigenart er ignoriert. Ansonsten würde ihm die prekäre Situation klar, in welcher er sich befindet. Anders als er registriert eine hinter seinem Kopf kniende Frau – und ein Schutz suchender, halbverdeckter Beobachter – ein sich aggressiv gebärdendes Scheinbild, dessen Präsenz die  friedvolle Situation nachhaltig umkehrt. Von dieser Vision erregt, erhebt sie beide Hände als Geste des Schreckens, der Abwehr und Überraschung angesichts des nur mit einem Lendenschurz bekleideten Wesens, dessen leuchtendes Inkarnat in krassem Gegensatz zu dem gedämpften Grundton des Gemäldes steht. Mittels eines Astes entflammt dieser unbändige Dämon das nahe Unterholz und taucht die Bildmitte in ein eigentümlich gleißendes, Unheil verkündendes Licht. Das besondere Augenmerk der Malerin gilt neben diesem Phänomen der Ausarbeitung des die Szenerie überspannenden Himmels. Während die Schreckgestalt von einer aufziehenden Unwetterwolke hinterfangen wird, die ihr physisches Auftreten betont, erhebt sich über den angedeuteten Baumwipfeln ein  tiefblauer, von weißen und roten Farbschleiern durchwirkter Himmel, dessen Kolorit Sabina Sakoh Michelangelos "Jüngstem Gericht" in der Sixtina entlehnt und mit diesem dramaturgischen Detail eben doch einen Interpretationshinweis liefert. 

Jean -Yves Klein – Perse

Mit seinem in jüngster Zeit entstandenen skulpturalen Werk gesellt sich Jean-Yves Klein jenen Malern zu, die seit dem Wiederaufleben expressiv-figurativer Tendenzen in der Malerei auf experimentelle Weise die intensive Auseinandersetzung mit der Bildhauerei suchten. In Deutschland waren es Baselitz, Penck und Lüpertz, welche die Tätigkeit vor der Leinwand zeitweilig mit der kraftzehrenden Arbeit im Bildhauer-Atelier vertauschten und ihre Bildvorstellung in die dritte Dimension überführten. Während jene ihre in Bronze und Holz ausgeführten Skulpturen häufig farbig fassten, fand der gebürtige Kanadier Klein zu einer andersartigen Lösung, die Oberfläche seiner mit der Motorsäge und Äxten aus Lärchenholz-Blöcken gesägten und geschlagenen Bildwerke zu gestalten: Er überzieht den Hartholz-Kern mit einem eng anliegenden Mantel aus geschmeidiger gewalzter Bleifolie, wodurch aus der Bearbeitung resultierende Scharten, Spalten und splittrige Risse verborgen werden. Die partiell schroffe Physis des Ausgangsmaterials verschwindet gänzlich unter einer matt schimmernden, glatten Schicht, die sich präzise an die zuvor mit Wucht in die natürliche Substanz geschnittenen Wölbungen und Grate anschmiegt. Klein weiß mit dem spannungsreichen Kontrast von Verdichtung und Elastizität, Widersetzlichkeit und Flexibilität umzugehen; er thematisiert die ungewöhnliche Handhabung seiner Werkstoffe und lenkt zugleich das Augenmerk auf das durch diese intensivierten milden Lichtreflexe und Schattenpartien auf der grauen, das Innere bändigenden Haut. Individuelle Spielräume eröffnet sich er nicht nur formal hinsichtlich seiner Methode der Konzeption der Anordnung plastischer Massen – etwa der Hervorhebung der jeweiligen Basis, die das Statuarische der von ihm dargestellten Figuren akzentuiert und der konsequente Verzicht auf eine Schauseite – sondern auch inhaltlich. Thematisch lassen sich Jean-Yves Kleins Skulpturen einerseits seinem zentralen, auf Papier, Leinwand oder als Keramik abgehandelten Motivkomplex zurechnen, welcher die Inszenierung des Weiblichen zum Gegenstand hat. Darüber  hinaus stimulierten ihn Anregungen aus der griechischen Mythologie und deren Protagonistinnen, imaginäre Abbilder zu entwerfen. Die Bezeichnung Perse für eine seiner Skulpturen etwa spielt auf Persephone, die attraktive Göttin der Unterwelt an, die auf Geheiß des Zeus unter dem Namen Kore einige Monate aus dem Reich des Hades erlöst wurde und bei ihrer Mutter, der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter verweilen durfte. Ohne sich im narrativen  Kontext zu verlieren, schildert Klein den emotionalen Auftritt einer Frau über einer weit ausladenden Basiskonstruktion. Ihre Gesichtszüge und der expressiv vorgeschobene Mund mögen einer afrikanischen Maske nachempfunden sein; der obere Teil des Kleides ist aufgerissen und gibt ihre Brüste frei – vom klassischen Idealbildnis keine Spur. Perse posiert auf dem Helm eines stilisierten, breitbeinig dastehenden geharnischten Kriegers, der keine Notiz von der Frau nimmt und seinen harten Blick auf den Betrachter  richtet. Seine Präsenz verweist auf den historisch-mythischen Hintergrund, dem Klein wie bei all seinen fragmentarisch angerissenen Episoden sein Arkanum  belässt.

Jürgen Schilling

05.05.2015 - 24.11.2015