Michael Schultz Daily News Nr. 951

Michael Schultz Daily News Nr. 951

Berlin, den 8. Juni 2015
 
 
im medienbeherrschenden Skandal der vergangenen Woche drehte sich alles um Sepp Blatter und seine FIFA. Plötzlich ist Ruhe eingekehrt, man hört nichts mehr davon. Im Fokus der Weltöffentlichkeit steht nun Elmau und der G7 Gipfel. Laut Kanzleramtsminister Altmeier wurden für rund 4500 Journalisten 'Arbeitsplätze geschaffen', damit diese ihre mit Alpenpanorama gefüllten Landschaftsfilme produzieren können. Inhalte gab es bisher keine, und so, wie es aussieht, werden auch heute keine folgen. Brisante Themen wie zum Beispiel die NSA Abhöraffäre stehen gar nicht auf der Agenda; in Elmau geht es um eine Machtdemonstration der ohnehin Mächtigen. 
 
US Präsident Obama begrüßte die als Trachtengruppe verkleideten und amtlich bestellten Jubelperser mit 'Grüß Gott', und schon war das mediale Eis gebrochen. Hinterher beichtete er, dass er seine Lederhose vergessen hat und sich vielleicht noch eine kaufen will (tosender Applaus). Noch nie habe er ein solch beeindruckendes Alphornkonzert gehört; auch diese Erkenntnis wurde bejubelt. Einzig er hat verstanden, worum es in Elmau geht: um Folklore und Klamauk.   
Einzig einig waren sich die Teilnehmer, dass Russland weiterhin vom Treffen ausgeschlossen und China als weltweit stärkste Industrienation vorläufig auch nicht eingeladen wird. EU-Ratspräsident Donald Tusk brachte sogar eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ins Spiel. Heute soll es unter anderem um den Klimaschutz, die Bekämpfung von Epidemien und die Entwicklungspolitik gehen. Ein informeller Austausch, dem keine Taten folgen. Die G7 ist ein Gebilde ohne angegliederte Administration, demnach bleibt es bei den Lippenbekenntnissen. Die befürchteten Krawalle am Rande des Gipfels blieben aus, Demos von G7-Gegnern verliefen weitgehend friedlich.

Im Zusammenhang mit der NSA/BND-Spähaffäre eröffnet die belgische Justiz ein offizielles Ermittlungsverfahren zu mutmaßlichen deutschen Spionageaktivitäten. Die Untersuchung solle klären, welche Straftaten möglicherweise verübt wurden und wer aus Belgien ins Visier der Geheimdienste geraten sein könnte. In Elmau hat Kanzlerin Angela Merkel, ungeachtet der Verstimmungen über die Spionageaffäre, die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Freundschaft hervorgehoben.

Auch Griechenland stand nicht auf der offiziellen G7-Tagesordnung, doch kurz vor Beginn des Gipfels haben Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande erneut mit Alexis Tsipras über die Schuldenkrise beraten. Der griechische Premier soll zudem um ein Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gebeten haben. Dieser habe das Telefonat jedoch abgesagt, weil es keine Fortschritte in den Gesprächen mit Athen gebe. Finanzminister Wolfgang Schäuble trifft heute in Berlin mit Griechenlands Finanzminister Varoufakis zusammen.
 
In Amerika und sonst wo in der Welt versteht ohnehin niemand, warum die Mutter Europa ihrem Zögling Griechenland nicht nachhaltiger unter die Arme greift. Die Vermutung, dass alleine Deutschland hinter den schier unerfüllbaren Forderungen steht, ist so unrecht nicht. Schließlich ist dies ja eine der bekannten Tugenden in unserem Land: wer erhobenen Auges um Hilfe bittet, bekommt nichts. Devot, debil, nackt und unter der Teppichkante, so wollen wir unsere Bittsteller sehen. Wer aufrecht laufen kann, der kann auch arbeiten gehen - ein Credo, was deutscher nicht sein kann. Dass es anderswo auf unserer Erde nicht ausreichend Arbeit gibt, interessiert nicht. Die Kniehöhe des Bittstellers ist entscheidend.
 
Noch ein paar Tage lang wird Elmau nachdieseln, und dann geht es wieder in die Breite. Dass in Dresden gestern ein neuer Bürgermeister zur Wahl stand und dabei die CDU gehörig einen auf den Deckel bekam, war aus den Frühnachrichten nicht zu vernehmen. Mit nur 15,4% der Stimmen landete ihr Kandidat weit abgeschlagen auf Rang Drei. Vorne liegt die SPD mit 36%, gefolgt von der FDP mit 31,7%. Die Pegidakandidatin erhielt knapp 10% und lag damit nur knapp hinter den Christdemokraten. Weil keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit bekam, wird es zur Stichwahl kommen. Sicher ist, dass die CDU spätestens dann ihren letzten Oberbürgermeister in einer Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern verliert.
 
Bei der türkischen Parlamentswahl ist der pro-kurdischen HDP mit 12,7 Prozent der Einzug ins Parlament gelungen. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist laut vorläufigem Ergebnis mit 40,9 Prozent stärkste Kraft geworden, hat aber aller Voraussicht nach die absolute Mehrheit verfehlt. Erstmals in ihrer bislang 13-jährigen Herrschaft ist die AKP jetzt gezwungen, einen Koalitionspartner zu finden. Die größte Oppositionspartei CHP liegt mit 25,2 Prozent auf dem zweiten Platz. Rund 53 Prozent der in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken stimmten für die AKP.

Zum Schluss heute noch eine Meldung aus dem Bildungsministerium: Ministerin Johanna Wanka will ein Unterrichtsfach zur Vorbereitung auf die Herausforderungen des Alltags einführen. Im Fach "Alltagswissen" könnten die Schüler Dinge lernen, die für ihr praktisches Leben wichtig sind, erklärt sie. Sie denke etwa an Fallen in Handyverträgen, handwerkliche Fähigkeiten, aber auch an Grundkenntnisse in richtiger Ernährung und Kochen. Die Ministerin drängt angesichts des immensen Unterrichtsausfalls auch darauf, zehn Prozent statt derzeit neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auszugeben, vermerkt die 'FAZ'. Von anderer Stelle war zu hören, dass eine Reform des ärztlichen Lehrerversorgungssystems ausreichen würde, um die Fehlzeiten der Pädagogen deutlich zu minimieren.

Wenn der Handyvertrag voller Fallen ist, werden bei uns im Land die FIFA, Griechenland, Elmau und die ISIS zur Nebensache. Verantwortungsvolle Politik sorgt dafür, dass solche Verträge erst gar nicht in den Umlauf kommen. 'Alltagswissen' sollte mehr mit Aufklärung über die Folgen globaler Verquickungen und Abhängigkeiten abgehandelt werden. Fürs Mensch werden ist dieses Wissen unabdingbar.