Michael Schultz Daily News Nr. 954

Michael Schultz Daily News Nr. 954

Berlin, den 11. Juni 2015

großer Auftritt für Wladimir Putin, der gestern zur Privataudienz beim Papst geladen war. Eigentlich sollte das Treffen schon einige Tage früher stattfinden, dann aber hätten die Bilder des friedvollen Zusammenseins dem massenhaft in die Welt gestreuten G7 Alpenpanorama die Show gestohlen. Franziskus änderte kurzerhand den Termin, und Putin wäre nicht Putin, wenn er zur Strafe dafür den Heiligen Vater nicht eine  ganze volle Stunde lang auf sich warten ließ.

Ob es bei dem Treffen auch zur Beichte gekommen ist, und was womöglich in ihr zur Sprache kam, wurde nicht öffentlich. Auch Staatsführer haben ein Anrecht auf das apostolische Grundrecht des Beichtgeheimnisses. Der Ablass funktioniert, Gott sei Dank, auch auf dieser Ebene.  

Was auch immer zwischen den beiden jedoch erörtert wurde: man spricht miteinander; über die Ukraine, über die Krim, über Menschenrechte, Sanktionen, EU, G7, FIFA und vieles mehr. Gut möglich, dass der Heilige Vater den immer noch gut betuchten Staatsrussen um Almosen für die in Orthodoxie verbundenen griechischen Glaubensbrüder gebeten hat. Auch das große Kirchenthema Homosexualität dürfte zur Sprache gekommen sein; die Versammlungsfreiheit  außerhalb der prachtvollen russischen Kirchengebäude könnte erörtert worden sein und natürlich die Vergabe der Fußball WM 2018. Das Spiel mit dem Ball ist auch für den Argentinier liebste Freizeitbeschäftigung, und das weiß man in Moskau. Nicht auszuschließen, dass Putin mit Franziskus die Eröffnungszeremonie besprochen hat und dem Papst einen zentralen Auftritt im Moskauer Luschniki Stadion angeboten hat. Die Blamage von Sotchi dürfe sich nicht wiederholen.

Katholiken und Russen verbindet vieles; nicht nur der Glauben. Im Mittelpunkt ihres Geschehens steht unangefochten die Show. Sinnbild dafür liefern die Kirchen alleine schon mit deren prunkvoller Ausstattung; an Ostern und Weihnachten wird die Welt mit langatmigen Segnungen berieselt, und schlussendlich ist es die Verzeihung im Ablass: die größte Kirchenshow schlechthin.

Aber auch die Russen können verzeihen, das tun sie gerne, dann wenn sie vor der Vergebung ihre Pfründe sicherten. Beste Unterhaltung bieten ihre alljährlich zelebrierten Militärparaden; für die tiefgläubigen Russen so etwas wie ihr drittes Kirchenfest. Das Sprechen in Rätseln und ihre sprichwörtliche Unverbindlichkeit aber ist es, was beide am meisten verbindet. Konrad Adenauer, bekennender Katholik, sagte einst: was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Der Satz könnte nicht nur auch von Putin sein; zaudern, zurückrudern und zweifeln sind ur-russische Grundeigenschaften.  

Brüder im Herzen also sind sie. Das Rad nach hinten drehen, das können sie am besten. Vor nicht allzu langer Zeit ist der Papst einst angetreten, um die Kirche mit revolutionären Veränderungen der Zeit anzupassen. Hohle Worthülsen, das hat sich schnell bestätigt. Aus dem Ticker sickerte heute früh die Meldung, dass 'zur Ahndung der Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Bischöfe', das Oberhaupt der katholischen Kirche der Schaffung eines eigens dafür zuständigen Gerichts zugestimmt hat. Dabei geht es nicht, wie vermutet, um die direkte Belangung hoher Würdenträger sondern um 'Fälle in denen diese vor Gericht gestellt werden können, weil sie den sexuellen Missbrauch durch Geistliche in ihren Diözesen billigten und vertuschten'. 

Vom Kopfe her stinkt der Fisch. Ein Sprichwort dessen Herkunft nicht gesichert ist, seinen Ursprung aber durchaus in der liebevoll ausschweifenden russischen Rätselsprache haben könnte. Papst und Putin wissen das, ihr Handeln aber verläuft nach den harten Regeln der Straße: die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen. Ihr Aktivismus ist reine Augenwischerei, bestes Beispiel aus Rom liefert die Ankündigung der Vertuschungsgerichtsbarkeit. Was nützt es den Geschändeten, wenn nicht der Schänder einer gerechten Strafe zugeführt wird, sondern nur derjenige, unter dessen Obhut diese geduldet wurde. Das muss nicht weiter vertieft werden.

Die dunklen Vermächtnisse der katholischen Amtskirche bieten Paroli für jede Kritik, die aus ihrem Munde kommt. Das weiß auch Putin. Auch er hat sich mit der Annektion der Krim zurückgeholt, was vom Fleische des Fleisches des russischen Urkörpers stammt. Eine Leidenschaft, der unter den Kirchenbediensteten ebenso lustvoll nachgegangen wird. Man nimmt sich, was man will, und der Staat schützt die Kirche durch seinen Blasphemie-Paragraphen; wer sich dagegen erhebt, kommt in den Kerker.  

Doch die eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. In Rom und Moskau aber, und das dürfen wir bei aller Kritik nicht vergessen, ticken die Uhren auch nicht anders als in Washington und Berlin. Die Aufklärung des NSA Abhörskandals bei uns wird nur dann möglich, wenn Herr Obama Frau Merkel dieses gestattet. Dass es dazu nicht kommen wird, scheint gesichert; Zustände wie im alten Rom.

Im Fleische wie im Geiste entstehen gesellschaftliche Veränderungen nur durch von 'unten' in Gange gebrachte Bewegung. Der Staat hat dafür demokratische Grundregeln aufgestellt; in freien Wahlen dürfen die Kreuze den bevorzugten Positionen zugeordnet werden. Die Kirche aber kreuzigt diejenigen, die in den Abgründen religiöser Abhängigkeit diabolische Vermächtnisse aufspüren. Die Angst vor dem Licht ist es, wovor man sich in Rom am meisten fürchtet.

Zeitgemäßer Ablass könnte wie folgt aussehen: die Russen geben den Amis Edward Snowden, ihren Staatsfeind Nr. 1 zurück, im Gegenzug darf Putin die Krim behalten, und in der Ukraine wüten wie er will. Nur gut, dass sich der russische Präsident dem widersetzt hat. Er macht sowieso was er will.

Was also letztlich bringt der päpstliche Putin-Besuch dem Weltfrieden? Man spricht miteinander, und das ist es, was sich die Menschen wünschen. Wenn das in der westlichen Politwelt als positives Signal verstanden wird und Lehren daraus gezogen werden, reicht's fürs Erste. Putin, und da ist er wieder ganz bei sich selbst, hat sofort nach seinem Vatikanbesuch der Welt verkündet, dass er eine Zusammenarbeit mit den G7 Nationen für ausgeschlossen hält. Die Energie für diesen Kraftspruch hat er sich wohl im gemeinsamen Gebet mit dem Heiligen Vater geholt. Auch das hat was. 

Früh morgens, wenn der Bauer wendet den Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt so, wie es ist. Eine mittelalterliche Weisheit, die die Zeit überlebte und uns unser Dasein einigermaßen erträglich gestaltet.

 

 

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