Michael Schultz Daily News Nr. 952

Michael Schultz Daily News Nr. 952

Berlin, den 9. Juni 2015

bei uns im Land, aber auch bei uns in Berlin, ist endlich ein wenig Ruhe eingekehrt. Die G7 Teilnehmer haben sich schneller und geräuschloser verabschiedet, als sie gekommen sind; wie eine mächtige Gewitterwalze fegte das Zusammentreffen der Sieben übers Land. Zum Schluss dann doch noch, und das völlig überraschend, wurde was Brauchbares zu Emission und Erderwärmung gesagt. Ob und wie das umgesetzt werden kann, soll im November in Paris auf einen Weltklimagipfel erörtert werden. 

Auch in Berlin ist wieder Ruhe eingekehrt. Die letzten beiden Wochen waren durch den Fußball dominiert; erst das deutsche Pokalfinale zwischen Dortmund und Wolfsburg, und eine Woche später das Champions League Finale zwischen Barcelona und Turin (Wolfsburg und Barcelona gewannen mit jeweils 3:1). Zwei Wochen lang wimmelte es in der Stadt von Anhängern der beteiligten Teams; war schön anzusehen, auch die Hoteliers und Gastronomen waren recht zufrieden, jetzt aber dürfen die Berliner sich endlich auf den beginnenden Sommer einlassen.

Damit dieser wirklich in vollem Umfang genossen werden kann, dazu verhilft nicht nur das schöne Wetter, auch die Post. Die Postler streiken, und solange sie dies tun, werden unsere Briefkästen von der Verstopfung mit unnötigem Werbemüll verschont. Aber auch 'endlich mal keine Rechnungen und Mahnungen, keine Strafzettel und Gerichtspost' wie es heute im Netz zu lesen war.

Der Streik gibt uns Gelegenheit, mal über die Post nachzudenken: die wirklich wichtigen und dringlichen Dinge erhalten wir per Mail, Whats App und SMS. Privatpost gibt es kaum noch, Bücher lesen wir am Tablet, die Auktionskataloge sind überflüssig, weil teuer und sperrig. Alles was wir zur Gestaltung unserer Existenz benötigen, erledigen wir digital. Zu Hause landen lediglich Kontoauszüge, Rechnungen und Behördenbriefe, ganz selten mal eine Urlaubskarte von Freunden. Pakete werden erst gar nicht mehr zugestellt; die Boten stecken die Benachrichtigung zur Abholung in den Briefkasten, auch wenn man den ganzen Tag zu Hause war. 

Also Post - wofür eigentlich noch? Lange wird es nicht mehr dauern, dann sind auch die Behörden in der Lage, ihre Benachrichtigungen per Mail zu versenden, und zwar so, dass dabei belastbare Empfangsbestätigungen rückgesendet werden. Das eigentliche Geschäftsfeld der Post gibt es ohnehin kaum noch: der Brief ist aus der Mode gekommen; alles was wir zu sagen haben, übermitteln wir über die sogenannten Sozialen Medien. Und das auch gleich so, dass jeder der will mitlesen und daran teilhaben kann.

Persönliches, was wir im Briefkasten vorfinden, versetzt uns zunächst in Angst und Schrecken. Ist was passiert, ist jemand gestorben; die ersten Fragen, die wir uns stellen. Früher, und das ist noch gar nicht so lange her, schrieben die Romantiker unter uns ihre Liebeserklärungen von Hand, und der Briefträger war als Überbringer unser bester Freund. Heutzutage verheißt der Blick in den Kasten oftmals nichts Gutes; besonders die vielen Strafzettel für falsches oder gebührenfreies Parken sind es, über die wir uns ärgern. Für den ganzen anderen Müll steht in jedem guten Mehrfamilienwohnhaus unter der Briefkastenzeile ein großer Papierkorb. Gut die Hälfte von dem, was wir aus dem Kasten holen, landet darin.

Genießen wir also die postfreie Zeit. Der Streik entkrampft die Abfallwirtschaft, verschont unsere Nerven und nimmt ein wenig Tempo aus unserem Alltag. Ganz wenig ist übriggeblieben von dem, was uns der Bote zustellen darf; davon aber ist das meiste eh überflüssig. Aufgeschoben ist zwar nicht aufgehoben; aber es verschafft Zeit zum unverkrampften Durchatmen.

stopnews@galerie-schultz.de

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